Bundesverfassungsgericht zum Unterhalt für Eltern

Eine inzwischen 70-jährige Frau war vor dem Landgericht Duisburg verklagt worden. Ihre pflegebedürftige Mutter hatte die letzten Jahre vor ihrem Tod in einem Heim gelebt. Das Sozialamt hatte die Heimkosten in Höhe von insgesamt 62.889,00 € übernommen; es hatte das Geld jedoch nach dem Tod der Mutter im Jahr 1995 von der Tochter zurückgefordert, die damals lediglich 560,00 € netto monatlich verdiente und deshalb aus ihrem Einkommen nichts zahlen konnte. Das Landgericht Duisburg hatte entschieden, die Tochter, die Miteigentümerin eines zum Teil selbstgenutzten Vierfamilienhauses ist, müsse zur Tilgung der Sozialhilfekosten ein zinsloses Darlehen der Stadt aufnehmen und durch eine Grundschuld absichern. Dieses „Zwangsdarlehen" der Tochter sollte nach ihrem Tod zurückgezahlt werden müssen.

 

 

Das Bundesverfassungsgericht hat nun das Urteil des Landgerichts Duisburg aufgehoben mit der Begründung, das Urteil verstoße gegen das Grundgesetz. Wörtlich heißt es: „Die der Beschwerdeführerin vom Landgericht auferlegte Verpflichtung zur Annahme eines zinslosen Darlehens und zur Bewilligung einer Grundschuld auf dem Miteigentumsanteil der Beschwerdeführerin entbehrt jeder Rechtsgrundlage und steht im krassen Widerspruch zu allen zur Anwendung gebrachten Normen. ..."

Dies wird zunächst damit begründet, die Beschwerdeführerin sei erst mit dem Darlehensangebot des Sozialhilfeträgers, also nach dem Tod der pflegebedürftigen Mutter, leistungsfähig geworden. Ein Unterhaltsanspruch nach § 1601 BGB bestehe jedoch nur, wenn „Bedürftigkeit beim Unterhaltsberechtigten und Leistungsfähigkeit beim Unterhaltspflichtigen zeitgleich vorliegen". Auch das Bundessozialhilfegesetz (BSHG), das die Überleitung von Unterhaltansprüchen ermöglicht, die dem Hilfeempfänger im Zeitraum der Hilfeleistung zustehen, gehe von einer „zeitlichen Kongruenz zwischen Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit" aus.

§ 89 BSHG zur Begründung eines Unterhaltsanspruchs heranzuziehen, stehe „in klarem Widerspruch zum Wortlaut dieser Norm und zu ihrer systematischen Einbindung in das sozialhilferechtliche Gefüge". Nach § 89 BSHG soll die Sozialhilfe als Darlehen gewährt werden, wenn und soweit für den Bedarf des Hilfesuchenden Vermögen einzusetzen ist, jedoch der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung des Vermögens nicht möglich ist oder eine Härte bedeuten würde. Die Möglichkeit einer Darlehensgewährung verbunden mit einer dinglichen Absicherung bezieht sich jedoch lediglich auf den Vermögenseinsatz des Sozialhilfeempfängers selbst und ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht auf übergegangene Unterhaltsansprüche gegenüber Verwandten übertragbar.

Das Bundesverfassungsgericht führt weiter aus, ein zivilrechtlich nicht gegebener Unterhaltanspruch könne nicht sozialhilferechtlich begründet werden. Es laufe dem Grundsatz des Sozialhilferechts zuwider, dass „ein Bedürftiger zwar selbst mit der Geltendmachung eines Unterhaltanspruchs gegenüber einem nicht leistungsfähigen Unterhaltspflichtigen scheitern würde, der Sozialhilfeträger jedoch mit einem entsprechenden Darlehensangebot den Unterhaltanspruch begründen und sich damit von seiner Verpflichtung zur Sozialhilfegewährung befreien könnte".

Das Landgericht hatte ferner - so das Bundesverfassungsgericht - nicht berücksichtigt, dass „dem Elternunterhalt gegenüber dem Kindesunterhalt nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nur nachrangiges Gewicht verliehen (vgl. § 1609 BGB), sondern auch der Umfang der Verpflichtung deutlich gegenüber der Verpflichtung zur Gewährung von Kindesunterhalt eingeschränkt" sei (vgl. § 1603 Abs. 1 BGB). Dem Kind müsse im Rahmen der Unterhaltspflicht gegenüber seinen Eltern ein seinen Lebensumständen entsprechender eigener Unterhalt verbleiben. Insbesondere bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Vorsorge des Kindes für eine angemessene Alterssicherung neben der gesetzlichen Rentenversicherung vorrangig zu berücksichtigen ist.

Der sog. „Selbstbehalt" eines Kindes im Rahmen des Elternunterhalts beträgt ab dem 1. Juli 2005 1.400,00 € im Monat; nur das über diesen Betrag hinausgehende Einkommen wird abzüglich bestehender Belastungen zur Hälfte herangezogen. Inwieweit darüber hinaus der Stamm des Vermögens zu verwerten ist, bleibt auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts unklar.

Die Entscheidung besagt nicht, dass das Vermögen eines Kindes grundsätzlich nicht für den Elternunterhalt verwertet werden muss. Nach ständiger Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Unterhaltspflichtiger grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens für den Unterhalt einsetzen. Danach ist gerade bei größerem Immobilienbesitz eine Prüfung des Einzelfalls erforderlich; eine Verwertung des Vermögensstamms kann jedoch nicht verlangt werden, wenn sie dem Unterhaltsschuldner fortlaufende Einkünfte nehmen würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder für seinen eigenen Unterhalt benötigt. So braucht er den Stamm seines Vermögens nicht zu verwerten, wenn dies für ihn „mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre" (so der BGH in seinem Urteil vom 21. April 2004). Es muss also geprüft werden, ob sich ein Verkauf des Grundstücks wirtschaftlich lohnt.

Bezieht das unterhaltspflichtige Kind Mieteinnahmen aus Immobilieneigentum, die als Einkommen zu seiner Leistungsfähigkeit beitragen, wird man eine Verwertung des Grundvermögens regelmäßig wegen Unwirtschaftlichkeit nicht verlangen können. Dies gilt umso mehr, wenn das Eigentum der Altersvorsorge des Kindes dienen soll. Darüber hinaus soll eine bereits langjährig gestaltete Lebensführung des unterhaltspflichtigen Kindes nicht grundlegend beeinträchtigt werden; deshalb scheidet in der Regel eine Verwertung des selbstgenutzten Eigenheims aus. Bei einem selbstgenutzten Eigenheim ist allerdings zu berücksichtigen, dass der sog. Wohnwert - abzüglich der allgemeinen Grundstückskosten und -lasten sowie der Zins- und Tilgungsleistungen - als Einkommen des unterhaltspflichtigen Kindes behandelt wird.